Jahresthema 2021 Eigensinn

Kartoffel legen

Eigensinn — mit diesem Begriff werden verschiedene Schichten ländlicher Kultur angesprochen. Zum einen verweist er auf die sprichwörtliche Sturheit des Bauern, die man als Unbelehrbarkeit oder Uneinsichtigkeit abwertet. Aber Eigensinn verlangt auch Widerstandsgeist. Wer eigensinnig ist, lässt sich von anderen nicht gern hereinreden und beansprucht eine Souveränität kraft eigener Praxis. Es sind vor allem die subsistenzwirtschaftlichen Erfahrungen des Landlebens, in denen sich der ländliche Eigensinn zeigt. Auch das Wort »Sinn« sollte nicht übersehen werden: Es verweist darauf, dass die ländliche Praxis im besten Falle eine hohe geistige Auskömmlichkeit hat.
Während die städtischen Versorgungsgesellschaften sich neuen Moden und Sprachregeln gegenüber meist sehr anpassungsbereit zeigen, verhält sich das Land gegenüber der dynamischen Gesellschaft oft sperrig. Diesem tradierten Befund, wonach die Welt auf dem Land 100 Jahre später untergeht, soll in unserem Jahresthema am Beispiel des Oderbruchs nachgespürt werden: in der Subsistenzwirtschaft und der ländlichen Kommunikation, beim dörflichen Naturschutz, in der Festkultur, im Vermögen des Reparierens und natürlich im Eigensinn des Sammelns.

Ins Programmjahr starteten wir mit einer Absage: für eine öffentliche Kultur, die vom persönlichen Kontakt, physischer Anwesenheit, dem gemeinsamen Erleben und Sprechen lebt, war — politisch gewollt — in Zeiten der Pandemie kein Platz. Wir entschieden, alle Veranstaltungen abzusagen.

Erst mit dem Programmtag »Selbermachen im Juni« konnten wir in die Saison starten. Höhepunkt war die »Auktion für besondere Dinge« am Fischerhaus. Die Auktion lenkte die Aufmerksamkeit auf das liebevolle, oft eben auch eigensinnige Engagement jener Menschen, die sich um Kulturerbe-Orte wie Dorf- und Heimatmuseen, Kirchen, besondere Orte kümmern. Mit der Auktion, auf der von Johanna Benz gefertigte Zeichnungen von einem professionellen Auktionator versteigert wurden, konnten wir sechs kleine Vorhaben unterstützen.


Am Nachmittag trafen sich ehrenamtliche Kommunalpolitiker aus dem Oderbruch, und sprachen über Eigensinn in der Kommunalpolitik, über die Spielräume und Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen — gerade auch in einer Zeit, in der viele Orte zu größeren Gemeinden zusammengeschlossen wurden. Auch in dieser Runde wurde deutlich: (Dörflicher) Eigensinn befruchtet das Zusammenleben, aber über das Eigene darf das Gemeinsame nicht vergessen werden.


Zum Programmtag im Juli wurde die Ausstellung zum Jahresthema eröffnet. Der Tag begann mit der Einweihung der Skulptur »Boot des Eigensinns« im Park, einem ausgedienten Fischerkahn, der, beschrieben mit Worten zum Denkhorizont Eigensinn, über der Landschaft schwebt. „Buck“ haben wir ihn getauft. Das Wort steht im Oderbruchplatt für Eigensinn.


Mit unseren Gesprächspartnern Entwickelte sich im Park unter Bäumen ein facettenreiches Gespräch über die Wechselwirkungen von Eigensinn, Gemeinschaft und Gesellschaft. Ohne eigensinnig handelnde Menschen verliert die Gesellschaft Wissen, Erfahrungen, Reibungsflächen, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Vielfalt.


Im November hatte die musikalische Lesung »Ich lebe hier und mach mein Ding« über den ländlichen Eigensinn im Oderbruch Premiere. »Über die Oderbrücher hat man schon oft mit den Augen gerollt«, schreibt Kenneth Anders, der den Text zur Lesung arrangiert hat, in der Ankündigung. »Die Leute vom Land seien stur, so heißt es. Und in der Tat, es hat den Anschein, als ließen sie sich ungern etwas sagen. Die Geschichte zeigt außerdem: Sie beschweren sich oft und murren gegen jede neue Verordnung. Das Oderbruchmuseum wollte es genauer wissen. In über zwanzig Interviews hat ein Rechercheteam verschiedenste Spielarten des ländlichen Eigensinns zusammengetragen.« Auf der Bühne im Kellergewölbe des Museums lasen und sangen Jens-Uwe Bogadtke und Kenneth Anders, die musikalische Szenerie bestritt der Gitarrist und Cellist Hannes Buder. Es war ein sehr erfolgreicher Freitagabend und Samstagvormittag, an dem viele unserer Gesprächspartner zum Thema Eigensinn teilnahmen und sich anschließend angenehm austauschten.

Das Werkstattbuch zum Jahresthema mit dem Titel EIGENSINN ist im Auflandverlag erschienen und im Museumsshop wie im Buchhandel erhältlich.